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Volltext-Urteile
Gericht: Bundesgerichtshof
Aktenzeichen: IV ZR 217/19
Datum: 18.11.2020
Ausgabe: 2/2021

BGH, Urteil vom 18.11.2020, Az. IV ZR 217/19

Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.11.2020, IV ZR 217/19 


Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin
Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die
Richter Prof. Dr. Karczewski und Dr. Götz auf die mündliche Verhandlung
vom 18. November 2020
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 3. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
7. August 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger, Insolvenzverwalter über das Vermögen der A.
Maschinenfabrik GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), nimmt die Beklagte
aus abgetretenem Recht auf Versicherungsleistungen aus einer D&O-Versicherung
in Anspruch.
Die Schuldnerin schloss mit der Beklagten im Jahr 2008 eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung
für Unternehmensleiter von Gesellschaften
mit beschränkter Haftung. Die Versicherungssumme ist auf
1.500.000 € für alle Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres begrenzt.
In den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten für
die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern
und Leitenden Angestellten (ULLA) heißt es auszugsweise:
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"1. Gegenstand der Versicherung
1.1 Versicherte Tätigkeit
Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz für den Fall,
dass eine versicherte Person wegen einer bei Ausübung der
organschaftlichen Tätigkeit bei der Versicherungsnehmerin,
einem Tochterunternehmen oder einem auf Antrag mitversicherten
Unternehmen begangenen Pflichtverletzung aufgrund
gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden
von der Versicherungsnehmerin oder einem
Dritten (hierzu zählt auch der Insolvenzverwalter) auf Schadensersatz
in Anspruch genommen wird.

1.3 Versicherte Schäden
Vermögensschäden sind solche Schäden, die weder Personenschäden
(Tötung, Verletzung des Körpers oder Schädigung
der Gesundheit von Menschen) noch Sachschäden
(Beschädigung, Verderben, Vernichtung oder Abhandenkommen
von Sachen) sind noch sich aus solchen Schäden
herleiten."
Im August 2013 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen
der Schuldnerin eröffnet. Im Dezember 2015 nahm der Kläger den Geschäftsführer
der Schuldnerin auf Ersatz von Zahlungen nach Insolvenzreife
in Anspruch. Im August 2016 focht die Beklagte ihre Vertragsannahme
wegen arglistiger Täuschung an. Mit Vereinbarung vom 8./15. November
2016 trat der Geschäftsführer der Schuldnerin seine Deckungsansprüche
aus dem Versicherungsvertrag an den Kläger ab.
Der Kläger macht geltend, die Schuldnerin sei spätestens seit dem
8. September 2011 zahlungsunfähig gewesen. Deren Geschäftsführer
hafte nach § 64 Satz 1 GmbHG wegen in den Versicherungsjahren
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2011/2012 und 2012/2013 vorgenommener Zahlungen in Höhe von jeweils
mindestens 1.500.000 €.
Die Beklagte meint, sie habe ihre Vertragserklärung wirksam angefochten.
Ansprüche aus § 64 Satz 1 GmbHG seien im Übrigen nicht vom
Versicherungsschutz erfasst; jedenfalls lägen aber wissentliche Pflichtverletzungen
des Geschäftsführers vor.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht
hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2
ZPO zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt
der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat dahinstehen lassen, ob der Versicherungsvertrag
wirksam angefochten, die Schuldnerin zahlungsunfähig gewesen
sei oder der Geschäftsführer der Schuldnerin wissentlich gegen
Pflichten verstoßen habe. Denn der Anspruch der Schuldnerin gegen ihren
Geschäftsführer aus § 64 Satz 1 GmbHG sei schon nicht vom Versicherungsschutz
gemäß Ziffer 1.1 ULLA umfasst. Zur Begründung stützt sich
das Berufungsgericht auf das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf
vom 20. Juli 2018 (4 U 93/16, VersR 2018, 1314), dessen Auffassung es
sich anschließt. Der Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG stelle keinen gesetzlichen
Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz im Sinne der Versicherungsbedingungen
dar, sondern sei ein "Ersatzanspruch eigener Art".
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Der Anspruch sei - selbst unter Berücksichtigung der Interessen der
versicherten Person an einer möglichst weitgehenden Absicherung - einem
bedingungsgemäßen Schadensersatzanspruch auch nicht gleichzusetzen.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung
des Berufungsgerichts handelt es sich bei dem in § 64 Satz 1
GmbHG geregelten Anspruch um einen gesetzlichen Haftpflichtanspruch
auf Schadensersatz im Sinne von Ziffer 1.1 ULLA. Dies ergibt die Auslegung
der Klausel.
1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie
ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer
sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung
des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei
kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers
ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine
Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der
mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang
der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer
erkennbar sind (Senatsurteile vom 8. Januar 2020
- IV ZR 240/18, VersR 2020, 283 Rn. 9; vom 20. Juli 2016 - IV ZR 245/15,
VersR 2016, 1184 Rn. 22; jeweils m.w.N.; st. Rspr.). Liegt - wie hier - eine
Versicherung für fremde Rechnung vor (vgl. Senatsurteile vom 4. März
2020 - IV ZR 110/19, VersR 2020, 541 Rn. 10; vom 5. April 2017 - IV ZR
360/15, BGHZ 214, 314 Rn. 13; vom 13. April 2016 - IV ZR 304/13, BGHZ
209, 373 Rn. 20), kommt es daneben auch auf die Verständnismöglichkeiten
durchschnittlicher Versicherter und ihre Interessen an (vgl. Senatsurteile
vom 4. März 2020 - IV ZR 110/19, VersR 2020, 541 Rn. 12; vom
16. Juli 2014 - IV ZR 88/13, BGHZ 202, 122 Rn. 16; vom 22. Januar 2014
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- IV ZR 127/12, juris Rn. 13; vom 11. September 2013 - IV ZR 303/12,
VersR 2013, 1397 Rn. 13). Weiter ist zu berücksichtigen, dass der typische
Adressaten- und Versichertenkreis in der D&O-Versicherung geschäftserfahren
und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertraut ist
(vgl. Senatsurteile vom 25. Mai 2011 - IV ZR 117/09, VersR 2011, 918
Rn. 22 zur Transportversicherung; vom 21. April 2010 - IV ZR 308/07,
VersR 2010, 809 Rn. 12 zur Betriebsunterbrechungsversicherung; OLG
München VersR 2018, 406 [juris Rn. 48]).
2. Nach diesen Maßstäben ergibt die Auslegung von Ziffer 1.1 ULLA
für den durchschnittlichen, hier mithin geschäftserfahrenen und mit Allgemeinen
Geschäftsbedingungen vertrauten Versicherungsnehmer/Versicherten
einer D&O-Versicherung, dass der in § 64 Satz 1 GmbHG geregelte
Anspruch ein bedingungsgemäßer gesetzlicher Haftpflichtanspruch
auf Schadensersatz ist.
a) Soweit Ziffer 1.1 ULLA für die Gewährung von Versicherungsschutz
voraussetzt, dass die versicherte Person aufgrund gesetzlicher
Haftpflichtbestimmungen in Anspruch genommen wird, ist in der Senatsrechtsprechung
bereits geklärt, dass es sich dabei nach dem maßgeblichen
Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers/Versicherten
um solche Bestimmungen handeln muss, die unabhängig vom Willen
der beteiligten Parteien an die Verwirklichung eines unter die Klausel
fallenden Ereignisses Rechtsfolgen knüpfen (vgl. Senatsurteile vom
11. Dezember 2002 - IV ZR 226/01, BGHZ 153, 182 unter II 1 [juris
Rn. 14]; vom 8. Dezember 1999 - IV ZR 40/99, VersR 2000, 311 unter II
3 a [juris Rn. 11] m.w.N.). Das trifft auf den in § 64 Satz 1 GmbHG geregelten
Anspruch zu (zutreffend Armbrüster/Schilbach, ZIP 2018, 1853,
1856). Denn die Vorschrift knüpft an nach Insolvenzreife geleistete, zur
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Masseschmälerung führende Zahlungen unabhängig vom Willen der beteiligten
Parteien die rechtliche Verpflichtung des Geschäftsführers, diese
Zahlungen der Gesellschaft zu ersetzen (vgl. BGH, Urteile vom 4. Juli
2017 - II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 Rn. 10 f.; vom 8. Januar 2001 - II ZR
88/99, BGHZ 146, 264 unter III 1 [juris Rn. 31]; siehe auch BGH, Urteil
vom 26. März 2007 - II ZR 310/05, NJW-RR 2007, 984 Rn. 7; Beschluss
vom 5. Februar 2007 - II ZR 51/06, NJW-RR 2007, 1490 Rn. 6 f.; jeweils
zu § 130a Abs. 3 Satz 1 HGB a.F.).
b) Ausgehend vom Wortlaut der Klausel und dem für ihn erkennbaren
Zweck der D&O-Versicherung wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte
entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
den Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG auch als Schadensersatzanspruch
im Sinne der Versicherungsbedingungen ansehen.
aa) Er wird dem Wortlaut der Klausel zunächst entnehmen, dass die
hier genommene Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung nicht sämtliche
mit der Tätigkeit eines Geschäftsführers einhergehende Risiken abdeckt,
sondern Versicherungsschutz nur für eine Inanspruchnahme der
versicherten Person wegen Vermögensschäden gewährt, also solcher
Schäden, die gemäß Ziffer 1.3 ULLA weder Personen- noch Sachschäden
sind. Er erkennt zudem, dass lediglich auf Schadensersatz gerichtete Ansprüche
und somit keine Ansprüche wegen Eigenschäden der versicherten
Person oder Ansprüche auf Erfüllung vertraglicher Leistungsverpflichtungen
erfasst sind (vgl. MünchKomm-VVG/Littbarski, 2. Aufl. § 100 Rn. 98;
Späte/Schimikowski/v. Rintelen, Haftpflichtversicherung 2. Aufl. Ziffer 1
AHB Rn. 262; Armbrüster/Schilbach, ZIP 2018, 1853, 1858).
bb) Den in § 64 Satz 1 GmbHG geregelten Anspruch der Gesellschaft
auf Ersatz von nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleisteten
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Zahlungen wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte
als auf bedingungsgemäßen Schadensersatz gerichtet ansehen.
Der in Ziffer 1.1 ULLA verwendete Ausdruck "Schadensersatz" verweist
ihn nicht auf den Bereich der Rechtssprache, weil es dort keinen in
seinen Konturen eindeutig festgelegten Schadensersatzbegriff gibt.
In der Umgangssprache umschreibt der Ausdruck allgemein den
Ausgleich eines erlittenen Nachteils (vgl. Senatsurteile vom 11. Dezember
2002 - IV ZR 226/01, BGHZ 153, 182 unter II 3 b [juris Rn. 20]; vom 8. Dezember
1999 - IV ZR 40/99, VersR 2000, 311 unter II 4 b bb [juris Rn. 18];
jeweils zu § 1 Nr. 1 AHB; siehe auch Senatsbeschluss vom 25. Mai 2011
- IV ZR 17/10, VersR 2011, 1179 Rn. 14 zu § 3 Abs. 1 Buchst. c ARB
94/2000). Dementsprechend wird der Versicherungsnehmer/Versicherte
unabhängig davon, wie die einschlägige gesetzliche Haftpflichtbestimmung
diese Rechtsfolge beschreibt, nach Ziffer 1.1 ULLA Versicherungsschutz
jedenfalls dann erwarten, wenn der gegen den Versicherten erhobene
Anspruch wie hier auf Ausgleich des eingetretenen Schadens im
Wege der Wiederherstellung des Zustands vor dem Schadenereignis gerichtet
ist (vgl. Senatsurteile vom 11. Dezember 2002 aaO; vom 8. Dezember
1999 aaO unter II 4 b cc [juris Rn. 19]; siehe auch BGH, Urteil vom
11. Juni 1999 - V ZR 377/98, BGHZ 142, 66 unter II 2 [juris Rn. 16];
Späte/Schimikowski/v. Rintelen, Haftpflichtversicherung 2. Aufl. Ziff. 1
AHB Rn. 262 ff.).
cc) Anders wird der Versicherungsnehmer/Versicherte die Klausel
auch nicht infolge der rechtsdogmatischen Einordnung des Anspruchs aus
§ 64 Satz 1 GmbHG verstehen.
(1) Das Berufungsgericht hat allerdings zur Begründung seiner anderslautenden
Auffassung darauf abgestellt, dass § 64 Satz 1 GmbHG mit
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der Ersatzpflicht des Geschäftsführers bezweckt, die verteilungsfähige
Vermögensmasse einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamtheit
ihrer Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte
Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern (vgl. BGH, Urteile
vom 15. März 2016 - II ZR 119/14, NJW 2016, 2660 Rn. 15; vom
15. März 2011 - II ZR 204/09, NJW 2011, 2427 Rn. 20; vom 25. Januar
2010 - II ZR 258/08, NJW-RR 2010, 607 Rn. 10; vom 29. November 1999
- II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 unter II 2 a [juris Rn. 9]). Die Vorschrift
erfasst damit im Regelfall nicht einen Schaden der Schuldnerin, da die
verbotswidrigen Zahlungen in der Regel der Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten
dienen und deshalb bei ihr nicht zu einem Vermögensschaden im
Sinne der §§ 249 ff. BGB führen. Verringert wird nur die Insolvenzmasse
in dem nachfolgenden Insolvenzverfahren, was zu einem Schaden allein
der Insolvenzgläubiger führt (BGH, Urteile vom 15. März 2016 aaO Rn. 15;
vom 18. März 1974 - II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089 Rn. 7; siehe auch
BGH, Urteile vom 20. September 2010 - II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 Rn. 14
zu § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG; vom 18. November 2014 - II ZR 231/13, BGHZ
203, 218 Rn. 10; vom 26. März 2007 - II ZR 310/05, NJW-RR 2007, 984
Rn. 7; Beschluss vom 5. Februar 2007 - II ZR 51/06, NJW-RR 2007, 1490
Rn. 7; jeweils zu § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB bzw. § 130a Abs. 3 Satz 1
HGB a.F.). Der Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG wird daher von der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht als Deliktstatbestand, sondern
als eigenständige Anspruchsgrundlage bzw. als "Ersatzanspruch eigener
Art" eingeordnet (vgl. BGH, Urteile vom 15. März 2011 aaO; vom
8. Januar 2001 - II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 unter III 1 [juris Rn. 31]; vom
18. März 1974 aaO), der seiner Natur nach darauf gerichtet ist, das Gesellschaftsvermögen
wieder aufzufüllen, damit es im Insolvenzverfahren
zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger
zur Verfügung steht (vgl. BGH, Urteile vom 15. März 2016 aaO;
vom 8. Januar 2001 aaO).
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(2) Die Revisionserwiderung hat ergänzt, dass - rechtsdogmatisch
betrachtet - der Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG die Rechtsfolgen eines
Eingriffs in die mit dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin
geänderte Forderungszuständigkeit festlege. Diese Forderungszuständigkeit
gehe in der Weise vom einzelnen Gläubiger auf das Gläubigerkollektiv
mit dem Ziel einer gleichmäßigen Verteilung der Masse über, dass dem
Geschäftsführer ein Zahlungsverbot auferlegt werde und der Anspruch der
Schuldnerin aus § 64 Satz 1 GmbHG dem Umstand Rechnung trage, dass
das eigentlich forderungszuständige Gläubigerkollektiv bei Eintritt der
Zahlungsunfähigkeit noch keine eigene Rechtspersönlichkeit habe.
Entgegen den Auffassungen des Berufungsgerichts und der Revisionserwiderung
kann jedoch selbst von einem geschäftserfahrenen und mit
Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertrauten, dennoch nicht juristisch
oder versicherungsrechtlich vorgebildeten Versicherungsnehmer/Versicherten
einer D&O-Versicherung (siehe auch Senatsurteil vom 21. April
2010 - IV ZR 308/07, VersR 2010, 809 [juris Rn. 12 f.] zur Betriebsunterbrechungsversicherung)
weder diese komplexe rechtsdogmatische Einordnung
des Anspruchs aus § 64 Satz 1 GmbHG noch ein darauf gestütztes
Verständnis des in Ziffer 1.1 ULLA formulierten Leistungsversprechens
erwartet werden (zutreffend Brinkmann in Festschrift für Bergmann, 2018
S. 93, 104 f.; Commandeur/Brocker, NZG 2018, 1295, 1297; Czaplinski/
Friesen, r+s 2018, 538, 539; Farian, GmbHR 2018, 975; Henne/Dittert,
DStR 2019, 227, 229; Markgraf/Henrich, NZG 2018, 1290, 1292 f.;
Merk/Köhler, AnwBl BE 2019, 127, 130; Mielke/Urlaub, BB 2018, 2634,
2638; Möhrle, AG 2019, 243, 245; Plaßmann-Robertz, ZWH 2018, 316,
318 f.; Schwencke/Röper, ZInsO 2018, 1937, 1939 f.; a.A. OLG Düsseldorf
VersR 2020, 1307, 1311 f. [juris Rn. 108, 114 f.]; Schneider/Hardung, EWiR
2018, 553, 554). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte
kann und muss mithin solche rechtsdogmatischen Überlegungen
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beim Bemühen um das Verständnis von Ziffer 1.1 ULLA nicht anstellen.
Dies gilt auch für die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung
angesprochene Erwägung, eine bedingungsgemäße Ausübung der organschaftlichen
Tätigkeit liege nicht vor, weil den Versicherten die verletzte
Pflicht "qua Stellung" treffe.
(3) Vielmehr hängt der Versicherungsschutz für ihn entscheidend
davon ab, dass der Versicherte - wie im Falle des § 64 Satz 1 GmbHG -
den Zustand vor Vornahme seiner pflichtwidrigen Zahlungen wiederherzustellen
hat, gleichviel, ob dies der Gesellschaft oder den Gesellschaftsgläubigern
zugutekommt (vgl. Armbrüster/Schilbach, ZIP 2018, 1853,
1858 f.; Fortmann, jurisPR-VersR 9/2018 Anm. 1; Markgraf/Henrich, NZG
2018, 1290, 1294; in diese Richtung auch Bauer/Malitz, ZIP 2018, 2149,
2152, 2154; Commandeur/Brocker, NZG 2018, 1295, 1297 f.; Primozic/
Nöller, ZInsO 2018, 2509, 2511).
Denn den Klauselwortlaut, der nicht darauf abstellt, bei wem der zu
ersetzende Schaden eingetreten ist, versteht der durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte
so, dass in der Außenhaftung auch und gerade
Versicherungsschutz gegenüber Dritten gewährt wird, zu denen die
Insolvenzgläubiger gehören (vgl. Bruck/Möller/Baumann, VVG 9. Aufl. Ziffer
1 AVB-AVG 2011/2013 Rn. 53; Mitterlechner/Wax/Witsch, D&O-Versicherung
2. Aufl. § 4 Rn. 10; Armbrüster/Schilbach, ZIP 2018, 1853, 1856;
Brinkmann in Festschrift für Bergmann, 2018 S. 93, 105; Fiedler, VersR
2018, 1298, 1301 f.; Markgraf/Henrich, NZG 2018, 1290, 1293; Mielke/Urlaub,
BB 2018, 2634, 2637; Monhemius, r+s 2019, 624, 629 f.). Dass der
Versicherungsschutz auch davon abhängen soll, bei wem ein Vermögensschaden
eingetreten ist und dass es insoweit einen Unterschied mache,
ob die Schuldnerin oder die Insolvenzgläubiger geschädigt sind, kann der
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durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte dem Leistungsversprechen
in Ziffer 1.1 ULLA nicht entnehmen. Darin, dass der maßgebliche
Vermögensschaden nicht zwingend bei der Schuldnerin eingetreten sein
muss, wird er auch durch den Klammerzusatz der Klausel bestärkt, der
den Insolvenzverwalter zu den möglichen Anspruchstellern zählt (vgl.
Armbrüster/Schilbach ZIP 2018, 1853, 1859; Merk/Köhler, AnwBl BE
2019, 127, 130 f.; Schmidt/Gundlach, DStR 2018, 2030, 2034), denn typischerweise
verfolgt der Insolvenzverwalter gerade auch die Interessen der
Insolvenzgläubiger (vgl. Schmidt/Gundlach, DStR 2018, 2030, 2034).
(4) Auch soweit das Berufungsgericht einen bedingungsgemäßen
Schadensersatzanspruch mit der Begründung verneint, die Verteidigungsmöglichkeiten
gegen eine Inanspruchnahme aus § 64 Satz 1 GmbHG
seien möglicherweise eingeschränkt, ergibt sich dies für den durchschnittlichen
Versicherungsnehmer/Versicherten weder aus dem Bedingungswortlaut
(vgl. Fortmann, jurisPR-VersR 9/2018 Anm. 1; Monhemius, r+s
2019, 624, 630; siehe auch Fiedler, VersR 2018, 1298, 1301 f.) noch misst
er dem bei der Auslegung der Klausel Bedeutung bei (zutreffend Armbrüster/Schilbach,
ZIP 2018, 1853, 1859). Vielmehr erwartet er von einer Haftpflichtversicherung
gerade auch dann Versicherungsschutz, wenn seine
Möglichkeiten, den gegen ihn erhobenen Anspruch im Haftpflichtprozess
abzuwehren, begrenzt sind.
dd) Die Einbeziehung von Ansprüchen aus § 64 Satz 1 GmbHG in
den Versicherungsschutz entspricht auch dem für den Versicherungsnehmer/Versicherten
erkennbaren Zweck des Versicherungsvertrages.
Die bei der Beklagten gehaltene D&O-Versicherung dient als Fremdversicherung
der Absicherung der versicherten Personen, die im Bereich
der Außen- und auch der Innenhaftung von Schadensersatzansprüchen
befreit werden sollen (vgl. Senatsurteil vom 5. April 2017 - IV ZR 360/15,
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BGHZ 214, 314 Rn. 29). Anders als das Berufungsgericht meint, werden
vom Versicherungsschutz daher nicht primär die Vermögensinteressen
der Versicherungsnehmerin, sondern die der versicherten Person geschützt
(vgl. OLG München VersR 2005, 540; Bruck/Möller/Baumann, VVG
9. Aufl. Allgemeine Einführung AVB-AVG 2011/2013 Rn. 13; Mitterlechner/
Wax/Witsch, D&O-Versicherung 2. Aufl. § 2 Rn. 22; MAH-VersR/Sieg,
4. Aufl. § 17 Rn. 38; Lange in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess
4. Aufl. § 21 Rn. 15; Armbrüster/Schilbach, ZIP 2018, 1853, 1855;
Fortmann, jurisPR-VersR 9/2018 Anm. 1; Monhemius, r+s 2019, 624, 629).
Der Schutz auch der Vermögensinteressen des Versicherungsnehmers ist
lediglich eine Reflexwirkung des versicherten Haftpflichtinteresses der
versicherten Person (vgl. Bruck/Möller/Baumann aaO; Mitterlechner/Wax/
Witsch aaO; Armbrüster/Schilbach aaO).
Der durchschnittliche Versicherte erwartet, dass diese Versicherung
als Passivenversicherung sein Interesse daran schützt, keine Vermögenseinbußen
infolge von gegen ihn gerichteten Schadenersatzforderungen zu
erleiden (vgl. OLG München VersR 2005, 540 unter 1.1; Langheid/Rixecker/Langheid,
VVG 6. Aufl. § 100 Rn. 8; MAH-VersR/Sieg, 4. Aufl. § 17
Rn. 38; Späte/Schimikowski/v. Rintelen, Haftpflichtversicherung 2. Aufl.
Ziffer 1 AHB Rn. 253; Lange in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess
4. Aufl. § 21 Rn. 4; Armbrüster/Schilbach, ZIP 2018, 1853, 1859). Er
wird deshalb nicht annehmen, dass gerade das für ihn bedeutende und
potentiell existenzvernichtende Haftpflichtrisiko aus § 64 Satz 1 GmbHG
von der Deckung der D&O-Versicherung deshalb ausgenommen sein soll,
weil ein Vermögensschaden nicht bei der Versicherungsnehmerin, sondern
bei deren Gläubigern eingetreten ist (vgl. dazu auch Baumbach/
Hueck/Haas, GmbHG 22. Aufl. § 64 Rn. 44; Commandeur/Brocker, NZG
2018, 1295, 1296 f.; Lehmann/Rettig, NZI 2018, 761, 762; Markgraf/Henrich,
NZG 2018, 1290, 1293; Schubert, DB 2017, 1767, 1768; Schubert,
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GmbHR 2017, R321; Schwencke/Röper, ZInsO 2018, 1937, 1940; a.A.
Lange in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess 4. Aufl. § 21
Rn. 36; ders., D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014 § 8 Rn. 19).
III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Das Berufungsgericht
hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - noch nicht geprüft, ob
die Beklagte ihre Vertragsannahme wirksam angefochten oder der Versicherte
gegebenenfalls seine Pflichten wissentlich verletzt hat. Möglicherweise
wird das Berufungsgericht auch Feststellungen zu Grund und Höhe
des Anspruchs nach § 64 Satz 1 GmbHG zu treffen haben.